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October 30th 2002
 

   
 
   

Allokation von Medien-Zeit

 
 
   
   
   
   
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Inhalt

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»Media, by altering the environment, evoke in us unique ratios of sense perceptions. The extension of any one sense alters the way we think and act – the way we perceive the world. When these ratios change, men change.«
Marshall McLuhan [1]

3  Medien-Zeit

Die Zeit verhält sich zur Uhr, wie das Denken zu den Medien. Die Uhr ‚enthält’ gewissermaßen die Zeit, [2] wie die Medien das Denken ‚enthalten’, da Zeit nicht ohne die Uhr wahrnehmbar wäre und Gedanken wären nicht vermittelbar ohne Medien. Doch auch wenn die Zeiger einer Uhr stillstehen und der Fernseher abgeschaltet ist, gehen die Zeit und das Denken weiter, denn Uhren sind nicht die Zeit, wie auch Medien nicht das Denken sind. Beide halten nur Schritt mit ihnen – wenn sie können. So wie die beschriebene kategoriale Zeit Ergebnis menschlichen Handelns ist, vermittelt folglich auch die Uhrzeit unsere erdachte Zeit. Damit ist die Uhr das spezifische Medium der Zeit, welches die gesellschaftliche Zeit vermittelt, auf deren Takt unsere Wahrnehmung von Medien beruht. Damit Medien aber in der Wahrnehmung funktionieren, muss sich die zeitliche Technik der Medien unsichtbar machen, da wir sonst keine Kontinuität, sondern nur technische Vertaktung wahrnehmen würden. [3] Diese unsichtbare Medien-Zeit geht in den gesellschaftlichen Alltag und ihre Produktionsmittel über – so weit, dass der Mensch nur existiert, indem er mit den technischen Apparaturen seiner Zeit kommuniziert, [4] die ihrerseits Zeit-Apparaturen sind: Medien. Wie Marshall McLuhan uns nahe legt, verändern sich die Menschen, wenn sich ihre Medien, die Ausweitungen ihres Nervensystems, ändern. Die Zeitgestalten der Medien bedingen folglich die Art und Weise, wie Individuen ihre eigene Zeit gestalten. Um diese Transformation der Medien-Zeit, von den technischen Geräten in die Gewohnheiten der Individuen, nachzuvollziehen, werden im folgenden die mehr oder weniger versteckten Zeitlichkeiten der Medien herausgearbeitet.

3.1  Über das Verständnis des Medialen

»Bist du, Leser, denn sicher, daß du meine Sprache verstehst?«
Jorge Louis Borges [5]

Um den Einfluss, die Funktionsweise und die Wirkung der Zeit auf Medien und von Medien auf die Zeit präziser untersuchen zu können, wird zunächst der Medien-Begriff, der den nachfolgenden Ausführungen zugrunde liegt, geschärft.

Der Begriff des Medialen verweist auf eine Vielzahl von Konnotationen, welche in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen unterschiedlich betrachtet werden und sich zumindest bezüglich Gegenstand und Funktionsweise differenzieren lassen. Sicher ist, dass Medium „Mitte“ und „Mittleres“, „Vermittlung“ und „Vermittler“ heißt und somit eine Frage nach dem Wesen der Medien, immer eine Frage nach der Beschaffenheit, der Tätigkeit und Rolle dieses „Dazwischen“ sein muss. [6]

Ein ‚enger’ Medienbegriff versteht pars pro toto die Massenmedien Film, Hörfunk, TV, Zeitung und Zeitschriften sowie in neuerer Zeit das Internet als ‚die Medien’. Der Zugang über diese publizistischen Medien trägt den klassischen Medienbegriff in sich, welcher Medien als Werkzeuge der Übertragung und Speicherung von Informationen versteht. [7] Dieser Begriff arbeitet mit einer Transportmetapher, bei der das Medium als ein ‚Behältnis’ fungiert, in welches ein Sender eine Botschaft hineingibt und diese auf mehr oder weniger direktem Wege zum Empfänger schickt. Einmal angekommen, kann das Behältnis ‚geöffnet’ und die Nachricht ‚gelesen’ werden. [8] Dieser in Abbildung 7 schematisierte lineare und mathematisch berechenbare [9] Übertragungsbegriff prägte den Medienbegriff der empirischen Soziologie wie auch der Kommunikationsforschung, welche berechnen und erfragen, wie viel von dem, was als Nachricht ‚in’ das Medium gegeben wurde, beim Empfänger schließlich ankommt, sowie den des traditionellen Journalismus, welcher mit der Lasswell-Formel von 1927: „Wer sagt was, warum, wie und mit welchem Effekt zu wem?“ [10] arbeitet, [11] bis hin zu dem der Medienökonomie, welche sich noch immer ausschließlich als Ökonomie der Massenmedien versteht. [12]

Abbildung 7 - Kommunikationssystem nach Shannon/Weaver 1964 [13]

Fungiert das Medium jedoch nur als Behältnis für eine Botschaft, so müsste es möglich sein, jede beliebige Botschaft in ein beliebiges Medium zu verpacken, und jeder beliebige Empfänger müsste ein und dieselbe Botschaft daraus lesen. Oder technokratisch ausgedrückt: Die Signale einer Nachricht lassen sich – wie in der Grafik abgebildet – von beliebigen Empfängern wieder zur Nachricht zusammensetzen, wenn nur die Störung – das Rauschen – hinreichend gering ist.

Eine Öffnung dieses klassischen Medienbegriffes wurde um 1950 von Harold A. Innis eingeleitet, da dieser erkannte, dass sich das, was in einem Medium transportiert werden soll, dem Transportmittel anpassen muss. ‚Inhalte’ müssen laut Innis immer in Abhängigkeit ihrer Transportwege betrachtet werden. [14] Die Denkmöglichkeiten - die „Tradeways of Mind“ - sind durch die Apparate limitiert, denn Medien können immer nur das aussagen, was ihre technische Struktur zulässt. Marshall McLuhan erweiterte und radikalisierte diesen Ansatz, indem in seiner Konzeption jedes Werkzeug zu einem Medium wird, wenn es auf den Verwendungszusammenhang zurückwirkt. Durch die Interpretation, Medien als Ausweitung des Nervensystems zu verstehen, [15] hat McLuhan den Grundstein für eine Medienwissenschaft gelegt, die ihren Gegenstand als systematisierbare Objekte verstehen, welche das, was sie speichern, verarbeiten und vermitteln unter Bedingungen stellen, die sie selbst schaffen und sind. [16]

Dieser ‚erweiterte’ Medienbegriff ist nicht unproblematisch, da durch ihn auch contra-intuitive Gegenstände wie Kleidung, Flugzeuge oder das Fahrrad als Medien definierbar wären. [17] Ein Medienbegriff, der anwendbar sein will, darf deshalb nicht mit Marshall McLuhans Aussage „Das Medium ist die Botschaft“ enden, damit er nicht droht, in die Willkürlichkeit abzugleiten. „Wenn Alles Medium wäre, dann wäre Medium Nichts.“ [18] So muss es ein Begriff des Medialen leisten, alle Einzelmedien weitestgehend zu verbinden, die Spezifik eines Mediums zu differenzieren und schließlich das Mediale vom Nicht-Medialen zu unterscheiden. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wird ein Medium im folgenden als Schichtung aus drei Ebenen verstanden: [19]

  1. Die erste Schicht ist die der „Geräte“, die technische Präsenz eines Mediums. Diese Objektschicht umfasst reale Gegenstände, Hardware, Maschinerie und auch konkrete Institutionen, wie Fabriken oder Behörden. Sie beinhaltet den Zweck eines Mediums, beispielsweise die Übertragung oder Speicherung.
  2. Die zweite Schicht ist die des „Dispositivs“. Das Dispositiv ist im engeren Sinne eine „...Anordnung von Körpern, Oberflächen, Lichtern und Blicken; in einer Apparatur, deren innere Mechanismen das Verhältnis herstellen, in welchem die Individuen gefangen sind.“ [20] Diese Zusammenballung von Bedingungsgefügen kann erstens als physische Anordnung und zweitens als kognitive Prägung verstanden werden, welche das Verhalten von Menschen determiniert.
  3. Die „Symbolische Form“ [21] bildet die dritte Schicht, jene, die den von einem Medium vermittelten Weltzugriff darstellt. [22] Die Schicht des Symbolischen beinhaltet die Möglichkeit der Sinnstiftung. Sinn „...nicht mehr als Bezug auf Höheres, Äußeres, sondern als Voraussetzung gemeinschaftlichen, temporalisierten und sachbezogenen Handelns überhaupt.“ [23]

Medien bestehen demnach gleichzeitig aus ihrer Technik, die ihre Funktion prägt, aus ihrer Struktur, die, als Teil der Lebenswelt, die Wahrnehmung prägt, [24] und, durch sinnhaftes Handeln [25] in ihrer symbolischen Form geprägt, auch aus ihrer Kultur. Sie sind das „...Verschiedene im Selben...“ [26] , welches sich in den drei Kräftefelder systematisieren lässt, in denen sich ein Medium ausbildet und wirkt. [27] Erst das Mediale als Einheit dieser Binnendifferenzen zu betrachten, erlaubt eine vielschichtige und doch strukturierte Analyse der Medien-Zeit, die demnach wie folgt definiert werden kann: Medien-Zeit ist die Einheit der zeitlichen Differenzen, die aus den Schichtungen des Medialen hervorgehen. [28]

Abbildung 8 - Die medialen Schichten der Medien-Zeit

In diesem Verständnis dient die in Abbildung 8 dargestellte Strukturierung der Medialität im folgenden als Basis für die Analyse der Medien-Zeit. Dabei wird untersucht, wie ‚herkömmliche’ chronometrische Zeiten der Medien-Technik zu zeitlichen Dispositiven führen, welche sinnstiftend symbolisch überformt werden und somit neue Zeitkonzepte in der Mediennutzung generieren. [29]

3.2  Technische Medien-Zeit

»Film ist 24mal Wahrheit pro Sekunde«
Jean-Luc Godard [30]

Aufbauend auf dem beschriebenen Sender-Empfänger-Modell lässt sich die technische Medien-Zeit in die zeitliche Codierung eines bewegten Inhaltes, die zeitlichen Vertaktung des Apparates und die Dauer der Übertragung aufteilen. Maßgebend für alle diese technischen Zeitlichkeiten sind zeitliche Intervalle, [31] die im folgenden als Bewegungsintervall, technisches Intervall und Übertragungsintervall erläutert werden.

3.2.1  Bewegungsintervall

Das Bewegungsintervall soll anhand der ersten Medientechnik, welche die Zeit im Namen trägt, erläutert werden: Der Chronophotographie. Eingebettet in die neuen Zeiterfahrungen des späten 19. Jahrhunderts, [32] war die Chronophotographie die erste Technik zur detailgetreuen Abbildung von Bewegungen. [33] Die ursprüngliche Intention der Chronophotographie galt zunächst der wissenschaftlichen Erkundung des Bewegungsapparates, wie Abbildung 9 zeigt. Die von Eadweard Muybridge und Jules Marey nahezu parallel entwickelten Verfahren waren so nicht mehr nur Foto und doch noch nicht Film. [34]

Abbildung 9 - Reihenfotografie eines Reiters von Eadweard Muybridge [35]

Die Darstellung von Zeit über die Zerlegung einer Zeitspanne in diskrete Einheiten ist als grundlegendes Prinzip der medialen Darstellung von Zeit zu betrachten: Die Vermittlung von Zeit erfolgt beispielsweise in den Sekunden der Uhr, den Einzelbildern des Films oder in den Buchstaben der Schrift in abstrakten, technisch generierbaren Einheiten. [36] Demnach können Medien, von der Sprache bis zum Computer, nie ohne zeitliche Komponente existieren. Die Abstraktion des Medialen hat in der ausdehnungslosen Einheit des digitalen Rasters zwischen Null und Eins vorerst ihr kleinstes Element gefunden. Denn um Null und Eins voneinander zu unterscheiden, benötigt es ein digitales Intervall als kleinste zeitliche Einheit der Medien, welches auch durch die ‚Echtzeit’ der Digitalität nicht verschwinden kann. Diese Intervalle zwischen den internen technischen ‚Zuständen’ eines Mediums machen folglich die zeitliche ‚Substanz’ eines Mediums aus.

3.2.2  Technisches Intervall

In Abgrenzung zur den Medien der Gutenberg-Galaxis haben elektronische Medien, wie der Film, das Fernsehen, Hörfunk und der Computer besondere zeitliche Intervalle, die in ihre Funktionsweise eingeschrieben sind. Diese technischen Intervalle sind in Einheiten der Sekunde und ihrer Bruchteile mathematisierbar und physikalisch in Taktfrequenzen wie Bilder/Sekunde, (Mega-) Hertz, Baud, etc. abbildbar. Sie bilden die Grundlage für die Wahrnehmungsmöglichkeiten von Medien. [37]

Der Film benötigt beispielsweise eine mechanische Unterbrechung der Bilder durch den ‚blinden’ Abstand auf dem Filmstreifen und einen Stroboskopeffekt, welcher durch das Malteserkreuz gewährleistet wird. [38] Die Bildpunkte des Fernsehens sind wiederum in Zeilen und Spalten organisiert, welche zeitlich sukzessive ‚erscheinen’, aber als ganzheitlich und zeitlich simultan aufgenommen werden. Das wahrgenommene Fernsehbild generiert sich jedoch nicht aus der räumlichen Verteilung spatialer Bildpunkte im Kontrast zu den Leerflächen – wie dies beispielsweise bei einem gerasterten Zeitungsfotodruck der Fall ist – sondern nur in der Wahrnehmung der zeitlichen Abfolge der sich ausbildenden, wandelnden oder verschwindenden Bildpunkte. [39]

Diese Zeitlichkeiten sind sozusagen in die technischen Grundfunktionen von Medien eingeschrieben. Es sind diese technischen, medieninternen Intervalle erster Ordnung, welche es möglich machen, dass wir Schrift lesen, das Fernsehbild erkennen, Sprache verstehen und Bewegung im Film wahrnehmen können. Über diese internen Gerätezeiten der ‚Hardware’ hinaus, gibt es jedoch auch eine zweite Ordnung der Intervalle: Die Übertragungsintervalle.

3.2.3  Übertragungsintervall

Die Länge der Übertragungsintervalle ist die technische Voraussetzung der Vermittlungsgeschwindigkeit von Medien. Systematisiert lässt sich dies an einem Modell von Götz Großklaus erläutern, welcher vier ‚Medien-Zeit-Fenster’ beschreibt: [40] I. Aufzeichnen/Selektieren, II. Aktualisieren/Inszenieren, III. Speichern und IV. Reaktualisieren. Der Ablauf des technisch-elektronischen Transfers von Daten und Bildern wird durch die Länge der zeitlichen Intervalle bestimmt, welche zwischen den einzelnen Phasen liegen und in der Abbildung durch i1 bis i4 dargestellt sind. [41]

Abbildung 10 - Übertragungsintervalle

Erklärt man die in der Grafik abgebildeten vier Medien-Zeit-Fenster am Beispiel des Nachrichtentransfers, so befindet sich für den Mediennutzer das sogenannte Gegenwartsfenster (II) – beispielsweise das, was er z.B. aktuell auf dem Bildschirm sieht – tendenziell in einem Verhältnis von früher zu III oder später zu I. Bei einer Live-Schaltung im Rundfunk können die Intervalle zwischen Aufzeichnen/Selektieren, Aktualisierung/Inszenieren und Speichern (i1 und i2) gegen Null tendieren. [42] Im Internet würde man hingegen von Real-Time Übertragung sprechen, wenn das Intervall i3, d.h. die Zeit der Reaktualisierung aus dem Speicher über eine elektronische Datenleitung gegen Null tendiert. Ist ein Bild erst in einen Speicher abgesunken, [43] kann es dort unbestimmte Zeit ‚verweilen’, bevor es reaktualisiert und erneut selektiert wird, um auf dem ‚Gegenwartsmonitor’ der Medien zu erscheinen.

Die beschriebenen technischen Zeitlichkeiten der Medien: die Bewegung, die Vertaktung und die Übertragungsgeschwindigkeit, stellen die materiell-zeitliche Grundlage dar, auf der die Dispositive der Medien-Zeit entstehen.

3.3  Dispositive der Medien-Zeit

»Raum und Zeit sind Denkweisen, die wir benutzen.
Raum und Zeit sind nicht Zustände, unter denen wir leben.«
Albert Einstein [44]

Dispositive der Medien-Zeit werden als Zeitgestalten, d.h. als zeitliche Anordnungen, welche Medien ausformen, verstanden. Diese Zeitgestalten entstehen durch die Korrelation der technischen Determinanten eines Mediums mit dem vorherrschenden kategorialen Zeitbewusstsein der Gesellschaft. Wie in der folgenden Darstellung schematisiert, können diese Medien-Dispositive in Dauer und Geschwindigkeit, sequentielle Struktur und zeitliche Perspektive unterteilt werden:

Abbildung 11 - Die Dispositive der Medien-Zeit

Diese einzelnen Zeitgestalten der Medien-Dispositive unterliegen ihrerseits u.a. einem ökonomischen, einem ästhetischen [45] und einem technischen Dispositiv, welche durch die jeweils aktuelle Zeitauffassung der Gesellschaft geprägt sind. So unterliegen Dauer und Geschwindigkeit stärker technischen Zwängen, die sequentielle Struktur mehr ästhetischen Gesichtspunkten und die zeitliche Perspektive deutlicher ökonomischen Gesichtspunkten. Jedoch kann keine dieser Zeitgestalten ausschließlich einem dieser Dispositive zugeordnet werden, da die Veränderung des Einen immer eine Veränderung im Anderen nach sich zieht.

3.3.1  Dauer und Geschwindigkeit

Bezeichnet Dauer die Maßeinheit von abgrenzbaren Einheiten, so ist die Geschwindigkeit das Maß für die Verkettung dieser Teile. Dies deutet auf die enge Verknüpfung der medialen Gestalt der Geschwindigkeit mit jener der Dauer hin. Denn je kürzer die Dauer aufeinander folgender medialer Formen ist, um so höher ist ihre Geschwindigkeit. Diese chronometrische Dauer ist die messbare ‚objektive’ Dauer einer medialen ‚Einheit’, in welcher ein Medium genutzt oder wahrgenommen wird. Es ist dabei unerheblich, ob man beispielsweise einen vollständigen Film betrachtet oder nur eine Einstellung desselben Filmes. [46]

Dauer und Geschwindigkeit unterliegen darüber hinaus der individuellen Zeitwahrnehmung. Beispielsweise wird versucht, über die Art und Anwendung der sequentiellen Struktur, welche im folgenden Abschnitt beschrieben wird, einem Film eine eigene Geschwindigkeit zu ‚geben’ und über die ‚Schnittgeschwindigkeit’ Spannung zu generieren. [47] Ein Kinofilm wird vom Konsumenten somit nicht nach der chronometrischen Dauer in Minuten, sondern nach der individuellen Dauer des Films bewertet, welche in der kompletten Sphäre von „langweilig“ bis „atemberaubend“ verlaufen kann. Der Unterhaltungswert von Kino- oder Fernsehfilmen basiert demnach geradezu auf der Ungleichwertigkeit von chronometrischer und individueller Dauer. [48]

Elektronische Medien benötigen aufgrund ihrer technischen Struktur eine messbare Dauer zur Übermittlung ihrer Inhalte. Jeder Konsument sieht beispielsweise einen Film 90 Minuten lang und wartet – gleiche technische Ausstattung vorausgesetzt – die gleiche Zeit auf den Aufbau einer Internetseite. Printmedien haben hingegen keine festgelegte Dauer zur Übertragung der Information. Dadurch kann die individuelle Konsumlänge variieren. Auch Printmedien versuchen jedoch die potentielle ‚Geschwindigkeit’ ihrer Rezeption zu erhöhen. So wurde die Verbreitung des ‚langsamen’ Mediums Schrift durch den Buchdruck [49] erheblich erhöht und die Rezeptionsgeschwindigkeit über eine verbesserte Typografie gesteigert, d.h. die Geschwindigkeit des Lesen und Schreibens wurde nach funktionalen Gesichtspunkten optimiert. [50]

Mediale Zeitlichkeiten entfalten demnach über ihre technischen Vorraussetzungen spezifische Dauern, welche, wie erwähnt, trotz ihrer chronometrischen Messbarkeit individuell wahrnehmbar sind. Zur Darstellung dieser Dauern benötigen Medien eine sequentielle Struktur.

3.3.2  Sequentielle Struktur

Die sequentielle Struktur trägt der Tatsache Rechnung, dass sich nicht alles gleichzeitig mitteilen lässt. [51] Die Vermittlung von ‚etwas’ muss demnach sequenziert werden, wodurch Komplexität ‚temporalisiert’ wird. [52]

Dieses Problem der zwingenden zeitlichen Determinierung ist bereits im ‚Urmedium’ der Sprache [53] wiederzufinden, denn die sprachliche Darstellung ist immer linear, d.h. Sprache verzeitlicht zwangsläufig alles. Über die Rhetorik, Grammatik und Semantik hinaus, hat die Sprache jedoch eine hohe temporale Leistungsfähigkeit entwickelt, denn Gleichzeitiges kann sprachlich ebenso ausgedrückt werden, wie nicht unmittelbar aufeinanderfolgende und doch zusammengehörende Teile einer Aussage. Zeitliche Spannungsbögen und Erwartungshaltungen können so durch die Struktur der Sprache aufgebaut werden. [54] Die einzige Limitierung der zeitlichen Darstellung der Sprache trägt die Sprache in sich selbst, da sie die Begriffe und Denkweisen determiniert, in denen über Zeit ‚gesprochen’ werden kann. [55]

Darüber hinaus verfügt jedes Medium über unterschiedliche Techniken, Inhalte nach einem eigenen Muster zu sequenzieren. So folgt ‚innere’ Sequenzierung den Prinzipien der Montage, ‚äußere’ Sequenzierung, den Prinzipien des Programming, und inhaltliche Sequenzierung den Prinzipien der Serialität von Medieninhalten. [56]

Montage

Zur Erläuterung des zeitlichen Prinzips der Montage [57] wird im folgenden exemplarisch auf das Beispiel des Films zurückgegriffen, der eine feste zeitliche Abfolge bietet, in welcher die Elemente der Kadrierung [58] in eine lineare Abfolge von Sequenzen gebracht werden. Die Montage eines Filmes besitzt einen doppelten zeitlichen Charakter, da sie sich aus der empirisch messbaren Zeit einer äußeren Bewegung – d.h. der Dauer einer Einstellung – und der Zeit der inneren Bewegung – beispielsweise der Dauer und Geschwindigkeit einer Kamerafahrt – zusammensetzt. [59]

Diese chronometrischen Zeiten allein sind jedoch nicht das, was als filmische Zeit [60] beschrieben werden kann. So ist die reine Abfolge von Bildern lediglich ein „Bewegungsbild“, aber noch kein „Zeitbild“. [61] Dies entsteht erst durch die Montage, welche die Bilder des Films ‚in der Zeit’ organisiert. Die zeitliche Folge des linearen ‚Vorher-Nachher’ kann in der Montage aufgehoben werden und durch Rückblenden, Vorblenden, Parallel- und Schachtelmontagen, Rückwärtslauf, Zeitraffer und Zeitlupe etc. neu kombiniert werden. [62] Durch die Montage entsteht zunächst ein indirektes zeitliches Filmbild. Erst der Zuschauer nimmt die Zeitlichkeit des Films war, indem er die einzelnen Einstellungen der Montage innerhalb des Films in Bezug zueinander setzt [63] und darüber hinaus Bezug zu seiner individuellen – symbolisch überformten – Zeitperspektive herstellt, um den Sinn des Filmes zu generieren. [64] Darüber hinaus können im Film verschiedene Vergangenheitsschichten gezeigt werden, die als alternative, gleichwertige Vergangenheiten angeboten werden, welche alle gleichermaßen filmisch wirklich sein können, obwohl sie chronometrisch unmöglich sind. [65] Die Zeit des Films setzt sich dementsprechend aus der chronometrischen Dauer und der individuellen Interpretation der Montage, der spezifischen Film-Zeit zusammen. [66]

Über den Film hinaus ist die Montage eine tief verankerte Kulturtechnik, welche sich über den Film hinaus in Theater, Literatur [67] , Musik, Architektur, Hörspiel, Fernsehen sowie in Flash-Animationen wiederfindet. [68]

Die Produkte dieser inhaltlichen Sequenzierung können zudem in eine äußere Zeitfolge gebracht werden, um sie in einem entsprechenden Programmrahmen verfügbar zu machen.

Programming

Über die Montage hinaus ist das Programming [69] eine zweite Form der Sequenzierung, welche Einzelbeiträge in ein zeitlich vorgefertigtes Muster für den Rezipienten bringt. [70] Von ‚weiten’ Programmkonzepten der Kino- und Theaterprogramme, welche jährlich, monatlich und/oder wöchentlich geplant werden, über ‚feinere’ Programmkonzepte, welche bis in die Unterteilung der Stunde gehen, wie z.B. beim Fernsehen [71] und Hörfunk, bis zur buchstäblichen internen ‚Programmierung’ digitaler Inhalte folgen Medienprodukte einem chronologisch ablaufenden Programm. Die zeitliche Reihenfolge der Programmzeit ist dabei keineswegs homogen oder beliebig, sondern erfolgt aus der engen Verschränkung der technischen Möglichkeiten und der etablierten Zeitinstitutionen der Uhrzeit und der Kalenderzeit. Lineare und zyklische Zeitstrukturen spielen demnach im Programming eng zusammen.

Die Programmvorgaben eines Mediums sind dabei abhängig von seiner Technik und der kulturellen Erwartung, welche durch die sinnstiftende symbolische Formung entsteht. Hier wird die Schnittstelle deutlich, welche das Dispositiv zwischen der technischen und der symbolischen Kraft eines Mediums bildet. Diese Schnittstelle zeigt sich bereits im Wandel der Programmgeschichte des frühen Kinos. So bestanden beispielsweise die Filmvorführungen der Brüder Lumière 1895 nicht aus abendfüllenden Spielfilmen, sondern aus zehn bis fünfzehn oft nur drei Minuten langen Filmen, die in varietéähnlicher Situation im Grand Café in Paris gezeigt wurden. Bald darauf entwickelten sich eigene Programmstrukturen, wie die Wochenschau, der Kulturfilm und der Spielfilm. [72] Diese Programmstrukturen wurden durch das Fernsehen übernommen [73] und teilweise gänzlich substituiert, da das Fernsehen aufgrund seiner kürzeren Produktionsprozesse Informationssendungen und Nachrichten zeitnäher gestalten konnte. [74]

Die Produktions- und Übertragungsgeschwindigkeit des Fernsehens hat in der Folge zur dominantesten Ausprägung von Programmzeiten geführt, die nicht nur zur Strukturierung der Inhalte, sondern auch zu einer inhaltlichen Gewichtung geführt haben. Diese inhaltliche Gewichtung, wie beispielsweise die Prime-Time im Fernsehen oder das Morgenradio im Hörfunk stellt im Wesentliche ein sinnhaftes Konstrukt dar, über das Zeitlichkeit im Alltagskontext vermittelt wird. Während die Prime-Time ein stabiles zeitliches Konstrukt der redaktionellen Medien geblieben ist, hat besonders die Ausfüllung der sogenannten fringe hours [75] dazu geführt, dass Rundfunkmedien tendenziell als „Medien ohne Pausen“ bezeichnet werden. [76]

Starke Unterschiede im zeitlichen Programming entfalten sich über die materiellen Speichereigenschaften von Medien. Beispielsweise sind Fernsehen und Rundfunk in ihrer Grundkonzeption flüchtig, d.h. bei ‚Nicht-Einhaltung’ der vorgegebenen Zeit sind die Inhalte für den Konsumenten verloren. [77] Im Gegensatz dazu können Printmedien ihre Angebote nur im Raum (auf dem Papier) verteilen, wodurch sie allerdings auch eine größere zeitliche Unabhängigkeit bieten. Trotz der strengen zeitlichen Linearität des Lesens sind es so auch die Zeitungen, welche es durch die Nicht-Flüchtigkeit des Papiers und die Anordnung der Texte im Mosaik-Layout [78] ermöglichen, eine eigene zeitliche Priorität und Reihenfolge einzuhalten, indem Abschnitte ausgelassen, überblättert oder schlicht später gelesen werden können.

Von der inneren Sequenzierung der Montage und der äußeren Sequenzierung des Programming, lässt sich die inhaltliche Sequenzierung der Serialität abgrenzen.

Serialität

Serialität lässt sich nicht nur als Analyse von einzelnen Medienformaten, wie der Fernsehserie, verstehen, sondern kann, wie die Montage und das Programming auch, als medienübergreifende Kulturtechnik gewertet werden. [79] Serialität lässt sich in die „Serienproduktion der Objekte“ und die „Serienproduktion der Inhalte“ unterscheiden. [80] Während die Serienproduktion im Sinne der Massenproduktion von besonderem ökonomischen Interesse ist, ist die inhaltliche Serialität – primär als ‚Wiederkehr’ begriffen – konzipiert, um Medien-Ereignissen ihre Okkasionalität zu nehmen und sie damit zu etwas für den Konsumenten Vertrauten zu machen. [81]

Jedwede mediale Serialität [82] baut so auf intertextuelle Zitate [83] auf. Der Reiz des Seriellen besteht in der Verknüpfung eines Medieninhaltes mit anderen bereits rezipierten Medieninhalten, welche in die „Enzyklopädie“ [84] des Mediennutzers eingegangen sind. Neue Informationen werden somit ständig mit alten abgeglichen, beziehungsweise das Lernen von Neuem funktioniert nur über die Bezugnahme auf Altes. [85]

Medien übernehmen durch die Serialisierung von Inhalten vorkategoriale Zeitstrukturen, welche durch die relative Abgeschlossenheit einzelner Episoden und der periodischen Wiederkehr – analog zu Jahreszeiten, Tag und Nacht – die Tendenz zur Unendlichkeit haben. Diese potentielle Unendlichkeit wird nicht eintönig, da mediale Serialität eben doch nicht auf reiner Wiederholung aufbaut, sondern auf tendenziell endlosen Variationen eines Schemas. [86] Die Innovation der medialen Serialität verbirgt sich vor allem im ästhetischen Stil, mit der das Mediale auf vertraute Schemen aufbaut. [87] Die mediale Serialität wird demnach durch Informationen konstituiert, welche Medien verbreiten, indem sie voraussetzen, dass es andere Medien bereits vor ihnen getan haben. [88]

Wie dargestellt sind Montage, Programming und Serialität medienübergreifende Formen der zeitlichen Strukturierung. Diese Strukturen bieten dem Konsumenten eine zeitliche Vorgabe, indem sie durch die Montage ihre Inhalte zeitlich gestalten, in Form eines Programms diese Inhalte zeitlich planbar präsentieren und anhand von seriellen Formen zeitliche Diskontinuität in eine zyklische Kontinuität umsetzen. Über dieses Angebot der zeitlichen Strukturierung hinaus generieren sie eine zeitliche Perspektive.

3.3.3  Zeitliche Perspektive

Die zeitliche Perspektive von Medien ist in ihrem Verhältnis zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu betrachten. Eines der wesentlichen Elemente der perspektivischen Verortung von Medien ist deren Aktualität. [89] Wie dargelegt wurde, lässt sich der Begriff der Aktualität in seiner technischen Dimension als die schnelle Übermittlung eines Ereignisses in einem Medien-Zeit-Fenster beschreiben. [90] Aktualität generiert sich demnach aus der ‚Gleichzeitigkeit’ von Ereignissen, deren Darstellung auf technisch synchronisierten Medien beruht. [91] Dieser ‚Live’-Charakter der synchronen Übertragung prägt im Alltagsgebrauch immer noch den ‚Wert’ der aktuellen Nachricht in sich. [92] Die globale Vermittlung eines gemeinsamen, gleichzeitigen Zeitraums wurde über die Institution der Weltzeit hinaus durch die weltweit operierenden Nachrichtensender [93] und das Internet weiter verstärkt. Doch Aktualität verweist nicht ausschließlich auf eine chronometrische Qualität, sondern auf den Gegensatz zum nur Möglichen, dem Potentiellen oder Virtuellen. Aktualität ist im medienzeitlichen Sinne dementsprechend zweigeteilt: Die technische Übertragung impliziert Zeitgleichheit und Simultanität, und die Speicherfunktion der Medien ermöglicht das Aktualisieren von zeitlich entfernten Ereignissen, wodurch Medien als historiographisches Archiv [94] dienen können. [95] Da allerdings nur über Speichermedien Geschichte überhaupt aufbewahrt werden kann, [96] unterliegt die gesamte Vermittlung des expliziten gesellschaftlichen Wissens den Möglichkeiten, die Medien zur Speicherung und Darstellung bieten. [97]

Die Ergänzung der frühen Übertragungstechnik Fernsehen durch verbesserte Speichermöglichkeiten löste das Fernsehen über sehr weite Strecken von der simultanen Übertragung [98] und bietet dem Fernbedienungsanwender heute stattdessen reaktualisierte Inhalte als Information oder Unterhaltung aus den letzten 100 Jahren. [99] Allein das Wissen um die technische Möglichkeit der Gleichzeitigkeit bestimmt somit die Erwartungshaltung, dass das Fernsehen auch in Zukunft aktuell sei.

Aus diesem Grund kommt der Periodizität ein hoher Stellenwert beim Bezug der Medien auf die Zukunft zu. In Abgrenzung zur Serialität bezeichnet die Periodizität nicht einen inhaltlichen Zusammenhang, sondern eine zeitlich starre Struktur eines Mediums, die stark an die Sekundärinstitutionen der Zeit (Uhrzeit und Kalenderzeit) gebunden ist [100] und beispielsweise dessen tägliches, wöchentliches oder monatliches Erscheinen festlegt. Periodizität erleichtert chronometrische Aktualität durch Internalisierung des Wettbewerbsdrucks in zeitlichen Normen. [101] Dem Konsumenten gegenüber verschafft sie eine Stabilisierung seiner Erwartungen gegenüber der Zukunft, da er sich darauf verlassen kann, dass es 20.00 Uhr ist, wenn die Tagesschau anfängt, oder Montag ist, wenn der Spiegel kommt.

Die Dispositive der Medien-Zeit basieren folglich auf dem kategorialen Zeitmuster der vorgestellten Zeit-Institutionen und verfestigen diese gleichzeitig. War dieser Prozess jedoch vormals auf das zeitliche Dispositiv des Mediums Uhr beschränkt, arbeiten nun auch die Dispositive der Massen-Medien als ‚Uhren’ und prägen dadurch das relevante kategoriale Zeitmuster der Gesellschaft. [102] Diese Uhren nach denen das Individuum seinen Weltzugriff organisiert, beruhen deshalb nicht mehr nur auf der mechanischen Uhr und dem Kalender, sondern sind erweitert durch die „...symbolisch-repräsentativen Entitäten [...], die wir Medien [...] nennen.“ [103]

3.4  Symbolische Formen der Medien-Zeit

»Alles Bewußtsein stellt sich uns in Form eines zeitlichen Geschehens dar...«
Ernst Cassirer [104]

Wurde bis hierher gezeigt, dass die technischen Determinanten der Medien-Zeit mediale Dispositive bilden, deren Funktion „...darin besteht, das jeweils gültige Konzept kategorialer Zeit symbolisch zu manifestieren“ [105] , so wird im folgenden dargelegt, wie Individuen diese medialen Dispositive sinnstiftend anwenden, um die Welt über sie zu erschließen. Der ‚Weltzugriff’ über Symbole folgt dabei der Logik, dass sich die Wirklichkeit nur über menschlich konstruierte Symbolwelt erschließen kann: „Durch sie allein erblicken wir und in ihnen besitzen wir das, was wir die »Wirklichkeit« nennen: denn die höchste objektive Wahrheit, die sich dem Geist erschließt, ist zuletzt die Form seines eigenen Tuns.“ [106] Wie beschrieben, bedingt die gesellschaftliche Konstellation eine Koordination von Individuen in der Zeit. Da Menschen aber kein ‚Sinnesorgan’ für Zeit haben, konstruieren sie Zeit, indem sie sich über sozial institutionalisierte Medien, [107] wie die Uhren und den Kalender, auf kulturspezifische Weise zueinander in Beziehung setzen. [108]

Wie in Kapitel 2 gezeigt, unterliegen die kulturellen Konzepte einer Gesellschaft der Verfertigung ihrer zeitlichen Gewohnheiten. Folgt man der vorgestellten Logik des Medialen, so wirken Medien, von ihrem Zweck, beispielsweise zeitliche Intervalle zur Generierung eines Bewegungsbildes einzusetzen, zum kulturellen Sinn, der durch diese Praktiken ausgelöst wird. [109] Die zunehmend wahrgenommene Beschleunigung von Medienprodukten lässt so die Medien-Zeit häufig ausschließlich unter dem Licht der gesellschaftlichen Beschleunigungstheorie – allen voran Paul Virilios Dromologie [110] – erscheinen. [111] Diese Debatte unterstellt durch eine implizite Kultivierungsthese die Übernahme medialer Geschwindigkeiten [112] in individuelles Handeln. Der direkte Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher und medialer Geschwindigkeit ist jedoch nicht belegbar. [113] Durchaus belegbar ist jedoch, dass mediale Geschwindigkeiten erlernbar sind und auf andere Medien übertragen werden. [114] Demnach gibt es ein Angebot von Zeitlichkeiten, welches von Rezipienten angenommen wird. Im folgenden steht dementsprechend nicht die kulturtheoretische Debatte der Beschleunigung, sondern vielmehr die Frage, wie Individuen mit den Zeitgestalten der Medien umgehen, im Mittelpunkt. Bei dieser Betrachtung muss beachtet werden, dass Individuen sich nicht nur in einem zeitlichen Dispositiv bewegen, sondern in einem Chronotop – einem Netzwerk von Zeitlichkeiten [115] - in denen sie sich unterschiedlichen Zeitdisziplinen anpassen, eigene Zeitstrategien und Zeittaktiken entwickeln und anwenden. [116] Diese komplexen Zeitlichkeiten werden hier nur in einer Hinsicht untersucht: Welchen Sinn erfüllen die zeitlichen Mediendispositive für den Rezipienten bzw. was tragen Medien zur Individualzeit bei? Aufbauend auf dem bisher dargelegten wird davon ausgegangen, dass Medien wie in der folgenden Grafik dargestellt, zwei zeitliche Möglichkeiten zur Sinnproduktion anbieten: Die zeitliche Strukturierung und somit Orientierung und die zeitliche Relativierung, d.h. Flexibilisierung von Zeitlichkeiten.

Abbildung 12 - Die symbolischen Formen der Medien-Zeit

3.4.1  Zeit strukturieren

Die Mediennutzung stellt eine komplexe Integrationsleistung der einzelnen Individuen dar, die ihre Individualzeit im Chronotop ihrer sozialen Bezüge ausbalancieren und für sich selbst zu einer sinnvollen und praktikablen Struktur formen müssen. [117] Die festen Zeitvorgaben der massenmedialen Programme ermöglichen dabei mindestens zwei Nutzungsformen: die habituelle Nutzung und die ritualisierte Nutzung. Durch Habitualisierung und Ritualisierung kann dem Alltag im Tages- und Wochenverlauf ein bestimmter Rhythmus gegeben werden. [118] Die habitualisierte Mediennutzung verläuft nach individuellen Routinen, welche nicht erzwungen sind, gleichwohl aber aus einer sozial erlernbaren Handlungsform bestehen und so zur Entlastung von Entscheidungs- und Zeitdruck beitragen, indem bewusst auf wiederholt erprobte Handlungsmuster zurückgegriffen wird. Die ritualisierte Mediennutzung hingegen folgt der Intention kommunikativ zu handeln und sozialen Kontakt herzustellen. [119] Auch diese beiden Handlungsformen sind nicht scharf voneinander zu trennen, da sie beide gemeinsame Ziele verfolgen können: Die ritualisierte Mediennutzung des vorgegebenen Programming gibt der Serialität von Medien eine spezielle Sinnkonfiguration, da über die Gemeinsamkeit sowohl sozialer Kontakt, als auch soziale Anschlussfähigkeit generiert werden können. Die habitualisierte Mediennutzung kann sowohl unter dem Aspekt der Gewöhnung, aber letztlich auch unter dem Aspekt der Anschlussfähigkeit gesehen werden. [120]

Habituelle Mediennutzung folgt dabei eher der zeitlichen Perspektive eines Mediums. Beispielsweise wird durch die periodisch wiederkehrende Aktualität der Nachrichten das einmalige, unerwartete Ereignis regelrecht erwartbar [121] und schafft so über die diskontinuierliche Aktualität kontinuierlich Anschlussfähigkeit. Habitualisierte und ritualisierte Mediennutzung können somit zum Einen der Verortung von Subjekten in der Zeit und zum Anderen der Verortung in der Gesellschaft dienen.

Durch die Synchronisation von öffentlicher und privater Zeit mittels Massenmedien [122] können Medien-Ereignisse als soziale Gleichzeitigkeit konstruiert und erfahren werden. [123] Diese kulturelle Synchronisierung über die wiederkehrende Nutzung eines gemeinsamen Zeitraums kann zur Herstellung subjektiver Sicherheit beitragen, da sich der Mediennutzer über die Medien mit der gesellschaftlichen Zeit verbindet, [124] gleichwohl ‚in der Zeit’ ist und sich immer wieder über die bestehende Ordnung absichern kann. [125]

Doch würde die sinnvolle Anwendung von Medien-Zeit in der Annahme eines vorgegebenen Programms enden, dann wäre Medien-Zeit nicht mehr als eine nachgeordnete Funktion der allgemeinen sozialen Zeitordnung. [126] Vielmehr ist das Erleben und der Umgang mit Medien-Zeit als ein aktives, intentionales, sinnkonstruierendes soziales Handeln zu verstehen, welches weit über die schlichte Annahme vorgegebener Zeit hinaus geht. [127]

3.4.2  Zeit relativieren

Die Programme der Massenmedien vermitteln mit ihrem fest vertakteten Angebot an zeitlichen Strukturen das abstrakt-lineare Zeitverständnis der Moderne. [128] Die Zeit in den Medien vergeht, und es ist dem Konsumenten überlassen, ob er sie wahrnimmt oder nicht. Wenn er sie wahrnimmt, so geschieht dies häufig unter den rationalen Gesichtspunkten der Auffassung ‚Zeit ist Geld’. Die ökonomische Gestaltung der Zeit führt jedoch dazu, dass auch die Freizeit unter denselben Gesichtspunkten organisiert, geplant, kalkuliert, aufgeteilt und somit einer „rationalen Erholung“ [129] unterzogen wird. Aus diesem ökonomischen Verwendungszusammenhang ergibt sich jedoch ein Paradox: „Je mehr Zeit wir gewinnen, umso effektiver müssen wir sie einsetzen. Zeitnot des Alltags ist also nicht das Ergebnis inkompetenten Umgangs mit Zeit, sondern im Gegenteil Ergebnis des rationalen Umgangs mit ihr.“ [130] Der rationale Umgang mit Zeit bedingt, dass sich der Bezug von Zeit auf ihre Verwendung in einem Kontinuum von ‚zu viel Zeit haben’ – Langeweile [131] – und ‚zu wenig Zeit haben’ – Zeitnot – aufspannt. Unter diesen gesellschaftlichen Zeitvorstellungen haben Individuen im alltäglichen Umgang mit Medien Strategien entwickelt, die sie bewusst oder unbewusst anwenden, um den „Diktaten der Uhr“ [132] zu entkommen, und ihre Individualzeit in Relation zu ihren wechselnden Bedürfnissen zu gestalten.

Eines der Bedürfnisse, welches aus rationaler Verwendung von Zeit entsteht, ist demnach die Vernichtung von Langeweile. [133] Medien dienen durch die sogenannte Interimsnutzung der Überbrückung von nicht genau vorhersehbaren und zeitlich unstrukturierten Zeitspannen des Tages oder gar ganzer Lebensphasen. [134] Die Langeweile als ungewollte ‚unproduktive’ Zeit [135] liegt nun ihrerseits sehr nah an der ‚gewollten’ [136] unproduktiven Zeit, der Muße. [137] Das Eigentümliche dieser Art der Mediennutzung liegt nun darin, dass das ursprünglich vorgesehene Zeitmaß der Nutzung häufig nicht eingehalten wird, man am Medium ‚hängen’ bleibt [138] und die Muße-Suche im Zeitstress endet. [139] Die Interimsnutzung ist folglich fließend von der Abwehr von Langeweile durch Unterhaltung bis zur Suche von ‚Auszeiten vom Rest der Welt’ zu finden.

Zur Relativierung der Zeitnot werden Medien für die Intensivierung von Zeit eingesetzt und diese damit gespart oder verdichtet. [140] Dies geschieht entweder durch die Parallelnutzung mehrerer Medien oder die Erledigung von Paralleltätigkeiten [141] bei der Nutzung. Darüber hinaus sorgen die immer kürzeren technischen Dauern der Übertragungswege und die damit einhergehende Verkürzung der Medien-Zeit-Intervalle für ein potentielles Zeitersparnis. 

Um zwischen Zeitnot und Langeweile möglichst ausgewogen zu vermitteln, bedienen sich Individuen durchaus differenzierter Taktiken, um ihre Nutzung der Medien nicht mehr dem Programm der Anbieter zu überlassen, sondern ihre eigenen Zeitstrukturen aufzubauen und sich gleichwohl eigene Programme zu schaffen. Fernbedienung und Videorekorder sind ein häufig zitiertes Beispiel für die Herstellung einer gesteigerten Zeitautonomie [142] des Mediennutzers. Die Fernbedienung kann dabei verschiedene zeitliche Funktionen erfüllen: Sie kann zur Erhöhung der Geschwindigkeit des Bildertempos herangezogen werden, wie zur Auflösung des vorgegebenen Programming der Fernsehanbieter. Durch Switching, Zapping und Grasing [143] werden die vorgegebenen Zeitstrukturen aufgelöst und zu einem neuen, individuellen Programm zusammengefügt. [144] Ergänzt wird dieses eigene Programming durch den Einsatz von Speichermedien, wie dem Videorekorder, der zeitversetzte Mediennutzung auch auf habitueller-, ritueller- oder Interim-Basis zulässt. Auch die medialen Techniken der Individualkommunikation, wie Mobiltelefon, Anrufbeantworter, E-Mail und Fax tragen zur zeitlich variablen Gestaltung des Alltags bei. [145] Durch die Neuen Medien verschieben sich die zeitlichen ‚Verfügungsrechte’ an Medieninhalten gänzlich von einer vorgeschriebenen Dauer und Sequenzierung zugunsten der Mediennutzer. [146]

Durch die immer größeren Möglichkeiten der Erstellung von eigenen zeitlichen Bezügen kann auch die habituelle und ritualisierte Mediennutzung der zeitlichen Eigenverwaltung anheim gegeben werden. [147] Die dadurch entfallende automatische Synchronisierung mit der Gesellschaft schreibt dem Dispositiv der zeitlichen Perspektive eine erhöhte Eigenverantwortung zu. Aktualität und Periodizität können im Informationsüberfluss potentiell genauso selbst gewählt werden, wie die freiwillige Synchronisation mit dem medialen Angebot. Die daraus entstehende zeitliche Selbstverortung könnte als Grundannahme einer erhöhten historiographischen Nutzung von Medien betrachtet werden, in welcher sich Individuen immer wieder durch mediales ‚Festhalten’ ihrer eigenen Geschichte versichern. [148]  

Wie und ob dieses vorerst technische Potential von Individuen genutzt wird, hängt jedoch im hohen Maße von dem sie umgebenden Chronotop ab, d.h. dem gesamten gesellschaftlichen und persönlichem Zeitlichkeitsgeflecht, in dem ein Individuum handelt. [149] Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass die gesellschaftliche Entwicklung langsam einen absoluten Zeitbegriff fallen lässt und rund einhundert Jahre nachdem Einstein die Relativität der Zeit zu ihren Bezugsobjekten in der Physik nachwies, [150] die kulturelle Bereitschaft dazu besteht, einen relativen Zeitbegriff für das gesellschaftliche Leben zu etablieren. [151] Die Nutzung der Medien und auch ihr Angebot wird sich aufgrund dieser kulturellen Bereitschaft entwickeln.

Die Analyse der Medien-Zeit hat uns gezeigt, wie Medien auf Basis der bereits institutionalisierten Medien Uhr und Kalender und dem daraus resultierenden medial vermittelten kategorialen und linearen Zeitdispositiv der Gesellschaft eigene mediale Zeitlichkeiten entwickelt haben, welche sinnstiftend von Mediennutzern in ihren Alltag integriert wurden. Der Prozess der Verfertigung der Zeit als gesellschaftliches Konstrukt, welches durch Medien geprägt und geleitet wird, kann damit als Ergebnis menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs bestätigt werden. Wie festgestellt wurde, findet die Verwendung von Medien-Zeit jedoch nicht nur auf der Basis ‚Zeit ist Geld’ statt, indem nur Geschwindigkeit zählen würde, sondern durchaus auch nach Aspekten der sozialen oder kulturellen Sinnverfertigung, die in der Individualzeit Ausdruck finden. Demnach wird im folgenden versucht, diese Strukturen in eine ökonomische Theorie einzubetten, bei der nicht immer nur der ‚Schnellste’ der Gewinner sein wird.



[1] McLuhan, Marshall / Fiore, Quentin (1967): S. 41
[2] Vgl. Sobel, Dava (1995): S. 49-50
[3] Vgl. Hickethier, Knut (2002): S. 124
[4] Vgl. Hickethier, Knut (2002): S. 127
[5] Zitiert nach Borges, Jorge Luis (1986): S. 62
[6] Vgl. Engell, Lorenz / Vogl, Joseph : Zur Einführung. In: Pias, Claus et al. [Hrsg.] (1999): S. 9
[7] Vgl. Engell, Lorenz (1998): S. 278
[8] Vgl. Engell, Lorenz (1998): S. 278
[9] Vgl. Shannon, Claude E. / Weaver, Warren (1964)
[10] Zitiert nach Winterhoff-Spurk, Peter (1989): S. 25
[11] Vgl. Engell, Lorenz (1998): S. 278
[12] Vgl. exemplarisch Heinrich, Jürgen (1994): S. 19
[13] Vgl. Shannon, Claude E. / Weaver, Warren (1964): S. 447
[14] Vgl. auch Engell, Lorenz (1999): S. 131
[15] Vgl. u.a. McLuhan, Marshall (1968): S. 43
[16] Vgl. Engell, Lorenz / Vogl, Joseph (1999): S. 10
[17] Wie es z.B. Marshall McLuhan (1968) tut.
[18] Engell, Lorenz (1999): S. 127
[19] Die nachfolgend vorgestellten „Schichten der Medialität“ basieren auf: Engell, Lorenz (1998): S. 280-285
[20] Foucault, Michel (1976): S. 259
[21] Siehe vertiefend: Cassirer, Ernst (1998): S. 76-97
[22] „In der Totalität seiner eigenen Leistungen und der Erkenntnis der spezifischen Regel, durch die jede von ihnen bestimmt wird, sowie in dem Bewußtsein des Zusammenhangs, der alle diese besonderen Regeln wieder zur Einheit einer Aufgabe und einer Lösung vereint: in alledem besitzt nunmehr der Geist die Anschauung seiner selbst und die der Wirklichkeit.“ Cassirer, Ernst (1998): S. 96
[23] Engell, Lorenz (2001): 3. Vorlesung [www]
[24] Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 175
[25] Sinnverfertigung ist dabei immer temporal bedingt: Egal ob auf die Vergangenheit oder die Zukunft gerichtet, sinnvolles Handeln ist immer ein Handeln, dem sich ein nachfolgendes Handeln anschließen kann oder sich aus vergangenem Handeln rechtfertigt. Vgl. Engell, Lorenz (1998): S. 271
[26] Engell, Lorenz (1998): S. 281
[27] Diese Schichten der Medialität erlauben es, ein Medium als Technik, Struktur und Kultur zu verstehen, ohne es auf eines dieser Konzepte zu beschränken, wie es den medienwissenschaftlichen Ansätzen, die nur auf einer dieser Schichten beruhen, vorgeworfen wird. Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 174f und Kirchmann, Kay (1998): S. 35
[28] Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass es vielfältige heterogene Zugänge zum Begriff der Medien-Zeit gibt, da sowohl die Konzepte der Zeit, wie auch das Konzept des Medialen unterschiedlichster Definitionen unterliegen. Vgl. Engell, Lorenz / Vogl , Joseph (1999): S. 9 und Aichelburg, Peter C. [Hrsg.]: S. 1. Die hier entwickelte ‚Arbeitsdefinition’ ist demnach die Grundlage zur Systematisierung der Medien-Zeit. Dabei werden abstrakte Grundzüge beschrieben, in die bestenfalls alle denkbaren Medien-Zeitlichkeiten eingeordnet werden können, ohne diese zwingend alle aufzuführen. Zur besseren Veranschaulichung wird dabei häufig auf Beispiele aus den Massenmedien zurückgegriffen. Die beschriebene Systematisierung lässt sich jedoch gleichermaßen auf Medien der Individualkommunikation anwenden.
[29] Die folgenden Ausführungen können zwar die getrennte Beschreibung der einzelnen Zeitlichkeiten leisten, jedoch sollten die Medien-Zeitlichkeiten immer zusammen gedacht werden, da sie faktisch nicht trennbar sind, nur systematisierbar: „Die Einheit einer Differenz ist keinesfalls einfach eine blanke, ungegliederte und ungebrochene Identität, eine Einheit ohne Differenz.” Vgl. Engell, Lorenz (1998): S. 281
[30] Zitiert nach Beck, Klaus (1994): S. 213
[31] Intervalle existieren als ‚technischer Zwischenschritt’: zeitlich oder räumlich. Ein zeitliches Intervall liegt beispielsweise der Wahrnehmung zwischen zwei Filmbildern, ein räumliches zwischen den Buchstaben eines Textes. Vgl. Engell, Lorenz (1996): S. 187
[32] Welche durch Zugreisen, den Telegrafen, die Dampfmaschine und den in Kapitel 2.3 beschriebenen Institutionen der Zeit geprägt waren. Siehe weiterführend Blaise, Clark (2001): S. 176-227
[33] Die Chronophotographie (seit 1882) erweiterte damit die um 1840 entstandene Fotografie (gr.: „Lichtschrift“) – laut einem ihrer Erfinder, William Fox Talbot, die detailgetreueste Abbildung der Natur – um das Element der Bewegung. Frühere Bewegtbildmedien, wie die Camera-Obscura, die Nebelbilder, die Laterna-Magica oder das Panorama beruhten nicht auf bewegten fotorealistischen Abbildung. Siehe weiterführend Schnell, Ralf (2000): S. 27-41; Großklaus, Götz (1995): S. 113-142
[34] Jedoch wird heute die Chronophotographie als Wegbereiter der Kinematografie interpretiert. Dies dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass Mareys ‚Fotografische Flinte’ ein Art Vorläufer der Filmkamera war, da man mit ihr bis zu 12 Bilder pro Sekunde ‚schießen’ konnte. Auch das Prinzip Muybridges mehrere Kameras in Reihe zu schalten, tauchte in einer der aktuellsten Spezialeffekt-Innovationen des Kinos, dem Flow-Motion, wieder auf. Flow-Motion wurde durch den Film The Matrix (USA 1999) etabliert und erlaubt die Bewegung der Kamera, während die Zeit scheinbar stillsteht. Abbildungen beider Techniken befinden sich im Anhang.
[35] http://www.acolyte.co.uk/Equine/Muybridge1.html [Stand: 12.06.2002]
[36] Vgl. Kirchmann, Kay (1998): S. 348
[37] Beispielsweise vermögen Menschen akustische Signale als einzelne Töne wahrzunehmen, wenn wenigstens drei Millisekunden zwischen den Einzeltönen liegen, sonst erscheinen einzelne Töne als durchgehendes Geräusch. Um ein Stroboskoplicht nicht als kontinuierlichen Lichtstrahl zu empfinden, benötigen optische Signale bereits 20 bis 30 Millisekunden als Pausen-Intervall. Vgl. Lotter, Wolf (2000): S. 86. Aller akustischen und visuellen Wahrnehmung – auch den Druckerzeugnissen und der Sprache – ist demnach eine Frequenz und somit Intervalle eingeschrieben.
[38] Die Abstände zwischen den Einzelbildern bewirken im Zusammengang mit dem Stroboskopeffekt der Unterbrechungen der Film-Projektion durch das Malteserkreuz eine Nachbildwirkung. Das bedeutet, dass die Lichtimpulse auf der Netzhaut noch wirken, auch wenn das Bild gar nicht mehr da ist. Erst diese technischen Beeinflussungen der Augenträgheit im Zusammenhang mit dem konstanten Transport von 24 Bildern pro Sekunde, der durch die Perforation des Filmstreifens möglich wurde, konnte die Illusion der störungsfreien Bewegung perfekt werden lassen. Dies unterscheidet den Film von der Chronophotographie. Vgl. Schnell, Ralf (2000): S. 43 und Engell, Lorenz (1996): S. 186
[39] Laut Engell ist das Fernsehbild im Unterschied zu anderen Bildern „...nicht durch einen Rahmen, also spatial in Abhebung von einem Außen, definiert, sondern temporal durch die Intervalle und die Form ihrer Reproduktion, also aus seinem Inneren heraus.“ Engell, Lorenz (1996): S. 17. Die einzelnen Punkte haben demnach kein Verhältnis zueinander in der Fläche, sondern nur in der Zeit.
[40] Vgl. Großklaus, Götz (1994): S. 42ff
[41] Die Medien-Zeit-Fenster folgen im Normalfall hintereinander und können in Abhängigkeit von den technischen Voraussetzungen eines Mediums unterschiedlich lang ausfallen. Vgl. Großklaus, Götz (1994): S. 42
[42] Vgl. Großklaus, Götz (1994): S. 42
[43] Hat ein Medium wie beispielsweise das Telefon keinen Speicher, endet das technische Zeitfenster mit der Phase 2, da es keinen permanenten Speicher gibt und der Mensch sich auf seine Erinnerung als internen Speicher verlassen muss. Über die direkte Kommunikation hinaus spielt die ‚Flüchtigkeit’ von Medien kaum noch eine Rolle, da tendenziell alles durch digitale Speicher und Kopiertechniken aufgezeichnet werden kann.
[44] Zitiert nach Kirchmann, Kay (1998): S. 70
[45] Historisch ist die Auseinandersetzung mit der Darstellung von Zeit in ‚Medien’ schon seit Jahrhunderten in die Theorie der Ästhetik und der Künste eingebettet. Zeit als philosophisches Grundproblem wurde in verschiedenen theoretischen Ansätzen thematisiert, welche sich mit den Ausdrucksmöglichkeiten von Zeit in der Kunst auseinander setzten. Prominenter Ursprung dieser Betrachtungen ist Lessings Laokoon, in welchem er die Beschränkungen der Ausdrucksmittel im Hinblick auf die Zeit untersucht. Nach Lessings idealisierender Ästhetikauffassung, kann die ‚Dichtung’ zeitliche Wirklichkeit verfolgen und adäquat thematisieren, ist also eine Zeitkunst, wohingegen Malerei und Skulptur ‚erstarrte Zeit’ räumlich detailliert darstellen können, also als Raumkünste zu betrachten sind. Die zeitliche Zweiteilung von künstlerischen Ausdrucksmedien wurde durch zweierlei Entwicklungen in der Moderne obsolet. Erstens fand die Kunst u.a. durch Kubismus und Futurismus einen konzeptionellen Weg, die Zeit in das Bild zu integrieren, und zweitens generierte der technische Fortschritt die Grundlagen für das Bewegtbild, durch welches, wie im vorigen Abschnitt beschrieben, Zeit erstmals in einem Prozess dargestellt werden konnte. Vgl. weiterführend Eco, Umberto (1985) und Scheer, Brigitte (2002) sowie Lessing, Gotthold Ephraim (1766): S. 102-119
[46] Die Dauer einer solchen ‚Einheit’ und deren Verknüpfungen werden in chronometrischen Einheiten gemessen und leiten sich so direkt aus der materiellen Schicht der Medien-Zeit ab.
[47] So benutzte bereits Alfred Hitchcock 70 Einstellungen in nur 45 Sekunden seiner legendären Dusch-Mordszene in Psycho, während ein ‚durchschnittlicher’ Unterhaltungsspielfilm insgesamt nur ca. 600 Einstellungen aufweist. Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 210
[48] Vgl. Beck, Klaus (1999): S. 78
[49] Der Buchdruck mit Gutenbergs beweglichen Lettern ist bereits ein früher Schritt in Richtung der ‚Digitalisierung’ von Medien. Digitalisierung versteht in diesem Sinne das Aufbrechen des fließenden Kontinuums der Schrift in seine Bestandteile, die Lettern, wodurch eine Beschleunigung der Produktion erst möglich wurde. Vgl. Engell, Lorenz (1996): S. 184
[50] Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 211
[51] Es soll hier noch einmal daran erinnert werden, dass es genau dieser Sachverhalt ist, der jedes Mediendispositiv zu einem Zeitdispositiv macht.
[52] Vgl. weiterführend Luhmann, Niklas (1980): S. 235-300
[53] Auch wenn die Sprache ein schwieriges mediales Phänomen darstellt, da sie zugleich Folge und Objekt von Medialisierung ist, so bleibt davon unberührt, dass „...Sprache als die mutmaßlich früheste Manifestation von Medialität anzusehen ist.“ Zudem stellt Medialisierung immer „...eine Weise der Ver-Sprachlichung dar, wovon die Lautsprache ihrerseits nur eine spezifische ist. [...] Strukturen sind mit anderen Worten gleichermaßen und gleichzeitig Ergebnis menschlichen Handels, wie auch Medium und Voraussetzung desselben.“ Kirchmann, Kay (1998): S. 51
[54] Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 165f und weiterführend Titzmann, Michael (1992)
[55] Vgl. Innis, Harold A. (1997b): S. 121
[56] Alle drei genannten Sequenzierungstechniken sind umfangreiche ästhetische, technische, ökonomische und kulturelle Konzepte, die hier nicht vollständig wiedergegeben werden können. Folgend liegt deshalb der Fokus auf der Herausstellung der zeitlichen Determinierung dieser Konzepte.
[57] „Montage ist die Komposition, die Anordnung der Bewegungsbilder als Organisation eines indirekten Bildes der Zeit.“ Deleuze, Gilles (1989): S. 50. Vertiefend zur Geschichte, Theorie, Ästhetik und Wirkung der Montage siehe: Schnell, Ralf (2000): S. 51-98; sowie zur materiellen Analyse der Montage: Hickethier, Knut (1996): S. 136-155
[58] Unter Kadrierung lässt sich die mehr oder minder mit Daten gesättigte dynamische Komposition des Leinwand-Bildes verstehen, welches aus verschiedenen ästhetischen Bildebenen, -schichten und -zonen besteht. Vgl. Deleuze, Gilles (1989): S. 27f
[59] Vgl. Beck, Klaus (1994): 213f.
[60] Auch „spezifische Filmzeit“, „Zeit-Bild“ etc. genannt. Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 216
[61] Vgl. Deleuze, Gilles (1989): S. 50
[62] Vgl. Engell, Lorenz (1996): S. 190 und Beck, Klaus (1999): S. 81. Für die Einbringung spezieller Zeitsprünge im Film haben sich über diese Montagetechniken auch spezielle Schnittvarianten herausgebildet, welche Zeit als eigenständige ästhetische Experimentierfläche ansehen. So z.B. der „jump-cut“ Jean-Luc Godards, welchen er z.B. in Außer Atem (À Bout de souffle) einsetzte, um zeitliche Wahrnehmungsgewohnheiten zu stören. Vgl. Schell, Ralf (2000): S. 56 und Engell, Lorenz (1996): S. 190-191
[63] Hier zeigt sich ein weiteres Indiz für die Dominanz der Zeit: Zeitliche Abwesenheit im einzelnen Filmbild ist inkommensurabel. Während der in der Kadrierung nicht gezeigte Raum (das Off oder hors-champ) immer implizit anwesend ist – man braucht nur die Kameraperspektive zu vergrößern um sie einzufangen – bleibt das zeitlich Abwesende im reinen Bild nicht abbildbar und nicht anschlussfähig. Es entsteht erst dadurch, dass der Zuschauer die montierten Sequenzen in Bezug zueinander setzt. Vgl. Engell, Lorenz (1996): S. 191f
[64] Da sich die Außenwelt eines Rezipienten ständig wandelt, ändern sich auch die sinnhaften Bezüge, weshalb beispielsweise manche Filme in der Kindheit als Unterhaltung und im Erwachsenenalter als Zeitverschwendung angesehen werden.
[65] Als ‚Lehrbuchbeispiele’ seien hier Citizen Kane (USA 1941) und Lola rennt (Deutschland 1998) genannt.
[66] Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 214 und Engell, Lorenz (1996): S. 187
[67] Die ‚Montage’ der Literatur fasst Beck wie folgt zusammen: „Es entstehen mediale Zeitordnungen, die mit Zeitbewußtseinen vermittelt sind, also auf wechselseitigen Kognitionen beruhen. So wissen wir als Leser beispielsweise, daß die gegenwärtige Schrift in der Vergangenheit produziert wurde. Wir lesen sie aber so, als ob es sich um gegenwärtige Äußerungen handele. Leser und Schreiber stellen eine mediale (in diesem Falle: literale) Gegenwart her, in dem sie in Bezug auf Schreiben und Lesen so tun, als ob sie tatsächlich gegenwärtig wären.“ Beck, Klaus (1994): S. 171
[68] Vgl. Schnell, Ralf (2000): S. 52 und Beck, Klaus (1999): S. 81
[69] Der Begriff Programming beschreibt den Prozess der zeitlichen Anordnung von Medieninhalten. Vgl. Hickethier, Knuth (1996): S. 201.
[70] „Bezieht sich Montage auf die zeitliche Gestaltung einzelner Medienprodukte, so meint Programming die zeitliche Sequentialisierung und Strukturierung mehrerer solcher Produkte zu einem umfassenden Programm.“ Beck, Klaus (1994): S. 220
[71] Fernsehen bietet zwar ein täglich feinsegmentiertes Programm, aber es unterliegt auch einem jahreszeitlichen Grundrhythmus: „Im Herbst werden neue Serien gestartet, die [...] im Winter laufen [...]. Im Frühling werden neue Serien erprobt, während im Sommer vor allem Wiederholungen und „Resteverwertungen“ [...] stattfinden.“ Beck, Klaus (1994): S. 220
[72] Vgl. Hickethier, Knut (1996): S. 201f und Beck, Klaus (1994): S. 222
[73] „In den Jahren 1929 bis 1934 war elektrisches Fernsehen nichts anderes als auf einem neuen Weg verteiltes und in seinen Produktionen zurechtgestutztes Kino, Fernkinematografie eben.“ Zielinski zitiert nach Beck, Klaus (1994): S. 222 – Hervorhebung im Original
[74] William Uricchio leitet daraus ab, dass die kulturelle Bereitschaft bereits auf die Zeitstrukturen des Fernsehens ausgerichtet war, und der Film sich nur aus ökonomischen Gründen als Informationsmedium etablierte. Vgl. Uricchio, William (2000): [www]
[75] „Fransen-Stunden“ – Programmend- und Programmübergangszeiten, wie z.B. die späte Nacht oder der Sonntagmorgen. Vgl. Beck (1994): S. 222
[76] Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 223. Diese ‚Auffüllungen’ entstehen durch die Substitution ehemals ritualisierter Programmenden, wie der Nationalhymne mit folgendem Testbild oder den abschließenden Spätnachrichten, durch ‚Nicht-Programmelemente’, wie das abgefilmte Aquarium oder die ‚niemals endende’ Berliner S-Bahnfahrt. Vgl. hierzu auch Beck, Klaus (1994): S. 226; Das Internet hat dieses Muster der Angebots-Permanenz erst vervollständigt, indem es die Programmgestaltung gänzlich dem Rezipienten überlässt.
[77] Da elektronische Rundfunk-Medien per se keine Speicherfunktion besitzen, müssen diese zu Zwecken größerer zeitlicher Unabhängigkeit durch Speichermedien wie beispielsweise den Videorekorder und/oder das Tonband ergänzt werden.
[78] Das in den 20er Jahren eingeführte Mosaik-Layout bezeichnet die Anordnung von verhältnismäßig kurzen Texten auf einer Seite. Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 213
[79] An das Prinzip der Serialität schließen sich komplexe ästhetische Diskussionen an, die hier nur verkürzt im Kontext der Massenmedien wiedergegeben werden können. So war die Serialität als Wiederholung lange Zeit in der Kunst verankert – beispielsweise in der Romantik. Als ‚schön’ galt, was einer möglichst genauen Kopie eines Originals entsprach. Die Moderne wendete die Wertigkeit in das Originelle, welches einmalig und nicht wiederholbar war. Die damit einhergehende Abwertung des Seriellen, sowohl in der physischen, wie inhaltlichen Massenproduktion wurde erst von der Postmoderne aufgehoben, welche die Originalität der Serialität hervorhob. Vgl. Eco, Umberto (1983): S. 155f
[80] Vgl. Eco, Umberto (1983): S. 155
[81] Serialität könnte als eine der Hauptcharakteristika von Medienprodukten angesehen werden. Auch die Herausgabe von Software in sukzessiven Versionen hat den Charakter des Seriellen. Software muss im geeigneten Maß das Alte bereits enthalten. Vertrautes wird durch neue Versionen meist ‚nur’ verbessert oder effizienter.
[82] Exemplarisch seien hier nur die inhaltlichen Formen der Serie genannt: Reprise (Fortsetzung), die Kopie (Remake), die Schleife (Erzählung in mehreren Rückblenden-Episoden), die Spirale (Vertiefung der Charaktereigenschaften von Folge zu Folge) und die Saga (Stammbaumerzählung mit mehreren Handlungsbögen) vgl. Eco, Umberto (1983): S. 160-162, welche sich ihrerseits in Serials (langlaufende Einzelfolgenserie u.a. Soap Operas), Mini-Serien (Mehrteiler mit meist vier bis zwölf Folgen), Anthologien oder Reihen (thematische Einheit bei wechselnden Schauplätzen und -spielern) unterteilen lassen. Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 230-233 und Hickethier, Knut (1996): S. 183-186
[83] Verschiedenste Spielweisen von Zitaten können ein immer komplexeres Geflecht von Intertextualitäten aufweisen. Exemplarisch seien hier das Stilzitat (‚Kopie’ der Erzählweise) oder das ironische Topos-Zitat (Verweis auf andere Inhalte) genannt. Vgl. Eco, Umberto (1983): S. 162f. Dem Zitat kommt jedoch darüber hinaus auch in der nicht-fiktionalen Welt eine hohe Bedeutung zu. So schafft das Zitat im Gegensatz zum Neuen Anschlussfähigkeit und reduziert Komplexität, da das Zitierte nicht noch einmal in der vollen Länge wiederholt werden muss.
[84] Der Vorrat an Anschlussmöglichkeiten durch bereits rezipierte Medieninhalte. Vgl. Eco, Umberto (1983): S. 163
[85] „In the name of „progress,“ our official culture is striving to force the new media to do the work of the old.” McLuhan, Marshall / Fiore, Quentin (1967): S. 81
[86] Vgl. Eco, Umberto (1983): S. 174 und Hickethier, Knut (1996): S. 185
[87] Oder wie Umberto Eco es wendet: „In diesem Sinne steht die Serie nicht notwendig im Gegensatz zur Innovation. Nichts ist »serieller« als ein Krawattenmuster, und dennoch ist nichts so persönlichkeitsbildend wie eine Krawatte.“ Eco, Umberto (1983): S. 169
[88] Vgl. Eco, Umberto (1983): S. 165
[89] Dies bezeichnet man als Gatekeeper-Funktion der Nachrichten.
[90] Das zeitliche Intervall zwischen Selektion und Aktualisierung muss demnach so kurz wie möglich sein.
[91] Vgl. Hickethier, Knut (2002): S. 121
[92] Zeit wird auch im Journalismus nach dem Prinzip ‚Zeit ist Geld’ als Maßeinheit für die Umwandlung einer ‚Idee’ in ein journalistisches Produkt verstanden. Vgl. Schaffrath, Michael (2002): S. 96 und Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 242
[93] Die Arbeit der global arbeitenden Nachrichtensender, wie CNN (Start 1980), war von Anfang an mit dem Primat der Synchronität belegt. Die Arbeit in einem weltweiten Informationssendernetzwerk machte erst Sinn, als die Übertragungswege sich weltweit synchronisieren ließen. Besonders die Live-Übertragungen aus entlegenen Gebieten und die Aktualität wurden zum zeitlichen Kernfaktor der Nachrichtensender. Weiterführend: Meckel, Miriam / Kriener, Markus [Hrsg.] (1996).
[94] Vgl. weiterführend Engell, Lorenz / Vogl, Joseph [Hrsg.] (2001)
[95] Zur zeitlichen Problematik des medialen Archivs sei hier nur das Internet angeführt: Die schiere Größe des medialen Archivs ‚Internet’ birgt in seiner vernetzten Komplexität größte navigatorische Probleme. Informationsüberflutung sorgt dafür, dass ein beträchtlicher Betrag von Wissen in den Speicher der Medien ‚absinkt’, ohne je reaktiviert zu werden. Die Strukturen, welche die Navigation im Internet erlauben, bilden so komplexitätsreduzierende Institutionen, die ihrerseits zu Pfadabhängigkeiten führen, da nur das gefunden werden kann, was eine Suchmaschine indiziert, oder ein Browser darstellen kann.
[96] Der Länge, die ein Medium einen Inhalt speichern kann, kommt eine nicht unwesentliche Bedeutung zu, so hat Harold Innis Trägermedien nach space-bias, ‚nicht-haltbare’ aber transportable Medien mit höherer Verbreitung und time-bias, statische, aber ‚haltbare’ Medien unterschieden. Laut Innis entscheiden die Neigung der Medien in Richtung Raum oder Zeit über die entsprechende Gesellschaftsform. Vgl. u.a. Innis, Harold A. (1991): S. 122
[97] „Ohne Medien des Beobachtens, Archivierens, Sortierens, Erschließens, ohne Medien der Codierung und Darstellung in Bild, Wort und Zahl, ohne Medien der Verbreitung schließlich ist die Geschichtsschreibung (und somit Geschichte überhaupt) nicht möglich.“ Engell, Lorenz / Vogl, Joseph [Hrsg.] (2001): S. 7
[98] Wurde in früheren Jahren auch das redaktionelle Programm, wie frühe Soap-Operas, noch live vom Fernsehen übertragen, so beschränkt sich die Live-Übertragung heute fast ausschließlich auf okkasionale Medien-Events, wie z.B. Sportveranstaltungen. Vgl. Schaffrath, Michael (2002): S. 95-110
[99] Vgl. Uricchio, William (2000): [www]
[100] Der Begriff der Periodizität ist wie die Aktualität stark mit den journalistischen Medien verknüpft. Historisch findet dies seine Begründung darin, dass die regelmäßige Wiederkehr von Publikationen sich bereits seit dem frühen 17. Jahrhundert etabliert hat. Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 242
[101] Die Auskristallisierung von Zeitdruck in Form von ‚Dead-Lines’ kann außerdem ein Selektionskriterium sein, welche Inhalte aufgenommen werden können. Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 243
[102] Vgl. Kirchmann, Kay (1998): S. 349
[103] Kirchmann, Kay (1998): S. 351
[104] Cassirer, Ernst (1998): S.95
[105] Kirchmann, Kay (1998): S. 347
[106] Cassirer, Ernst (1998): S. 96
[107] Zeit und ihre Medien(-dispositive) der Uhr und des Kalenders stehen in einem interdependenten Verhältnis, da sie beide der sozialen Relationsbestimmung dienen. Vgl. Kirchmann, Kay (1998): S. 347 Sie werden demnach im folgenden als sozial institutionalisierte Medien verstanden.
[108] Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 165 vgl. auch Hickethier, Knuth (2002): S. 111
[109] Vgl. Engell, Lorenz (1998): S. 282
[110] Die Beschleunigungsthese wird gängigerweise als erste Verbindung zwischen Zeit und Medien geknüpft. Ausgehend von McLuhan, welcher der technischen Beschleunigung positiv gegenüber stand, bis zu den kulturpessimistischen Essays Paul Virilios über die Beschleunigung der Gesellschaft, welche zur ‚Dromokratie’, der Herrschaft der Geschwindigkeit und dem ‚rasenden Stillstand’ und der Behinderung des Fortschritts durch die Beschleunigung der Medien führte, sind alle Positionen in der üblichen Verteilung von Apokalyptikern und Integrierten vorhanden. Vgl. weiterführend Kirchmann, Kay (1998): S. 16-27
[111] Vgl. weiterführend Glotz, Peter (2001) und Virilio, Paul (1992)
[112] So wird über die Erhöhung der ‚technischen’ Schnittfrequenz die Tendenz zur höheren Geschwindigkeit von Medieninhalten abgeleitet. Diese ‚Beschleunigung’ beruht beispielsweise auf Schnittgeschwindigkeiten, welche beispielsweise in den 80er Jahren über die ‚Einführung’ der Videoclipästhetik Mtv’s (seit 1981) in Fernsehen und Film aufgenommen wurde und in den 90er Jahren seine Entsprechung in den ‚Beats per Second’ der Techno-Musik fand und durch Spot- und Flash-News in den Nachrichtenkanälen – allen voran von CNN – aufgegriffen wurde. Die ‚Geschwindigkeit der Medien’ impliziert demnach, dass die kognitive Phase der Konnotation im Netz kultureller Zeichenbezüge sich nicht mehr konstituieren kann und somit die Sinnproduktion nicht mehr bzw. nur unvollständig vollzogen werden kann. Vgl. Großklaus, Götz (1999): Abschnitt 2 und Engell, Lorenz (1996): S. 187
[113] Studien zufolge führt eine hohe Ereignisdichte im Fernsehen nicht zur Langeweile im Alltag. Vgl. Winterhoff-Spurk, Peter (1989): S. 72
[114] Bei fernsehgewöhnten Rezipienten wird ein Film mit langen Schnittfrequenzen als langsam bzw. langweilig empfunden. Vgl. Winterhoff-Spurk, Peter (1989): S. 72
[115] Vgl. Elias, Norbert (1984): S. XIII
[116] Vgl. Neverla, Irene (1999): S. 136
[117] Vgl. Neverla, Irene (1999): S. 135
[118] Vgl. Neverla, Irene (1999): S. 136
[119] Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 283
[120] Exemplarisch steht hierfür die Frage:„Hast Du das gesehen?!?“
[121] Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 288
[122] Dies geschieht durch die Annahme allgemein bekannter Zeitmarken, wie der Prime-Time, als soziale Synchronisationsmöglichkeit ohne Koordinationsaufwand. Vgl. Neverla, Irene (1999): S. 136
[123] Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 288
[124] Vgl. Hickethier, Klaus (2002): S. 121
[125] Vgl. Beck, Klaus (1994): S. 86
[126] Vgl. Neverla, Irene (1999): S. 133
[127] Vgl. Neverla, Irene (1992): S. 34
[128] Vgl. Neverla, Irene (1999): S. 133
[129] Vgl. Lash, Scott / Urry, John (1994): S. 226
[130] Neverla, Irene (1992): S. 34. Derselben These folgt Linder für die Formulierung des ökonomischen Linder-Axioms. Linder, Staffan B. (1972): S. 14f
[131] Langeweile ist demnach, wie die Zeitnot, ein Ergebnis der zweckrationalen Nutzung. Denn erst unter diesem Gesichtspunkt wirken scheinbar ‚nutzlose’ oder ‚unausgefüllt’ vergangene Dauern als ‚leer’. Vgl. Neverla, Irene (1992): S. 34
[132] Rifkin, Jeremy (1988): S. 21
[133] „Sicherlich ist die Unterhaltung auch eine Komponente der modernen Freizeitkultur, die mit der Funktion betraut ist, überflüssige Zeit zu vernichten.“ Luhmann, Niklas (1996): S. 96
[134] Vgl. Neverla, Irene (1994): S. 85
[135] Diese wird häufig bei Personen mit deregulierter, von Außenstehenden als unstrukturiert bezeichneter Lebenszeit in Verbindung gebracht. So wird ‚Zeitverschwendung’ durch Interimsnutzung besonders häufig bei Studenten, Freiberuflern oder Arbeitslosen ausgemacht. Vgl. Neverla, Irene (1994): S. 85
[136] Beck spricht von der „...Verwirklichung des Willens zur Langeweile“. Beck, Klaus (1994): S. 303
[137] Muße bedingt wie Langeweile immer die Abkopplung von der äußeren, gesellschaftlichen Zeit der Welt. Vgl. Beuthner, Michael (2002): S. 150
[138] Der Effekt tritt augenscheinlich ein, wenn die individuelle Wahrnehmung des durch Montage und Serialität geprägten Medienproduktes als kürzer empfunden wird, als seine chronometrische Dauer. Dieser Effekt gilt im übrigen nicht nur für die audiovisuellen Medien, sondern durchaus auch für Texte.
[139] Vgl. Neverla, Irene (1994): S. 85
[140] Vgl. Beck,Klaus (1994): S. 271
[141] Anhang D gibt einen Überblick über die statistisch ermittelten häufigsten Paralleltätigkeiten bei der Medien-Nutzung.
[142] Bereits die Zeitung bietet ein hohes Maß an zeitlicher Autonomie, da sie durch die Permanenz des Papiers theoretisch jederzeit lesbar ist.
[143] Switching wird verstanden als zeitliche Eigengestaltung der inhaltlichen Reihenfolge des Fernsehprogramms; Zapping ist die effiziente Vermeidung der Werbepausen und Grasing dient – analog der Nutzung von Printmedien – der Schaffung eines Programmüberblicks per ‚Durchblättern’ eines Fernsehprogramms. Vgl. Neverla, Irene (1994): S. 85f und Beck, Klaus (1994): S. 302f
[144] An dieser Stelle von Demontage und Entprogrammierung zu sprechen, wie Beck es tut - vgl. Beck, Klaus (1994): S. 301ff - ist streng genommen unpräzise, da es sich eher um REmontage und REprogrammierung handelt.
[145] Vgl. Neverla, Irene (1999): S. 137
[146] Nicht nur die eigenständige Zusammenstellung eines Programms, welche wie beschrieben bereits vor dem Internet möglich war, wird durch digitale Medien wie iTV und ‚on-demand’-Angebote weiter flexibilisiert, sondern auch die medieninternen Zeitlichkeiten der Montage fallen über den Hypertext hinaus auch bei vorgefertigten Produkten der Variabilität anheim. So werden Kinofilme als ‚Users-Cut’ in neu geschnittenen Formen angeboten, um nicht gefallende Strukturen des Films umzuschneiden oder ganz zu entfernen.
[147] Wodurch der Navigation durch das Angebot ein immer höherer Stellenwert zukommt. Wenn Medien nur noch Archiv sind und das Programm keine Funktion als Verzeichnis mehr erfüllt, kommt der Navigation ein immer höherer Stellenwert zu. Für die zeitliche Gestaltung von Medieninhalten wird also zukünftig nicht nur die Fernbedienung, sondern eventuell auch Browserstrukturen zu den Standard-Navigatoren gehören.
[148] Die zeitlich immer noch streng begrenzte Familienfotografie wurde inzwischen durch die fast lückenlose Videodokumentation ersetzt. Die Verunsicherung der eigenen Geschichte ist auch den Medienwissenschaften selbst anzumerken, die immer wieder ihre eigene Geschichtsschreibung in Frage stellen und neu historisch verorten. Vgl. Urrichio, William (2001)
[149] Vgl. Neverla, Irene (1999): S. 137
[150] Die Grundlage dafür, dass Medien als Zeitgeber fungieren, begründet sich auf Albert Einsteins System zur dezentralen Koordination von Uhrzeit. Nach diesem System war die Synchronisation von Uhren über weite Distanzen nicht mehr nach dem Newtonschen Prinzip einer zentralistisch absoluten Himmelsuhr (gemessen z.B. an einer astronomischen Sternwarte) abhängig, sondern von sich selbst, d.h. die Uhren glichen sich, wie in einem Netzwerk, aneinander ab. Zeit war nun nicht mehr nur im theoretischen Sinne ‚relativ’ zu ihrem Beobachter und dessen Bewegung, sondern existierte nun auch technisch-real nur noch ‚relativ’ – in Bezug auf andere Uhren. Einstein veränderte damit die Regeln der Zeitbestimmung, die wiederum den, in einer Gesellschaft vorherrschenden Zeitbegriff beeinflussen: die Zeit war nicht mehr von einer festen Größe, den Sternen abhängig, sondern relativ von den eingesetzten Medien der Zeitmessung (wie z.B. Uhren, aber auch dem Fernsehen etc.). Vgl. u.a. Galison, Peter (2000): S. 216f und Aichelburg, Peter C. (1988): S. 231
[151] Diese Indizien verteilen sich u.a. über die gesellschaftskritischen Ansätze der ‚negativen Flexibilisierung’ (Sennet), der ‚Dromokratie’ (Virilio) und der ‚Uhrenherrschaft’ (Rifkin) bis zur freudigen Erwartung der ‚zeitlosen Zeit’ (Castells). Vgl. Sennett, Richard (2000); Virilio, Paul (1992); Rifkin, Jeremy (1988); Castells, Manuel (2001)