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Allokation von Medien-Zeit
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Inhalt |
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»Würde Raserei allein davor bewahren, die Mahlzeit des Nächstcleveren
zu werden, dann würden Wüstenspringmäuse den Planeten regieren. Als erster
aus dem Startloch sprinten hilft nicht. Man muss auch wissen,
wohin man läuft.«
Wolf Lotter [1]
5 Die Landkarte der Medien-Zeit
Die eingangs erwähnte Schwierigkeit der ökonomischen Betrachtung von
Medien-Zeit liegt sicherlich in den komplexen Interdependenzen der vielschichtigen
Charakteristika der einzelnen Bezugssysteme Medien und Zeit. Die kategoriale
Zeit, über die im Alltag das Leben der Menschen koordiniert wird, ist
ein menschengeschaffenes Koordinationsinstrument, welches die Gesellschaft
nach abstrakten, evolutorisch entwickelten Uhrzeiteinheiten koordiniert.
Medien im vorgestellten Verständnis sind ebenfalls vom Menschen geschaffene
Objekte, die jedoch nicht nur der ‚simplen’ Koordination arbeitsteiliger
Gesellschaften dienen, sondern grundsätzlich der Verständigung der Individuen
untereinander.
Zeit im alltäglichen Sinne war demnach schon immer Medien-Zeit, denn
das Wissen um die kategorialen Zeitkonzepte hätte sich ohne mediale Prozesse
nicht institutionalisieren können. Zeit war natürlich in ihrer vorkategorialen
Eigenschaft der zyklischen Wiederkehr von Tag und Nacht bereits ‚da’ bevor
es Menschen gab, doch kategoriale Zeit, wie sie heute wahrgenommen wird
und in den Institutionen der Uhrzeit gefangen ist, gibt es erst, seitdem
Menschen sich – über Medien – austauschen können, um solch abstrakte Systeme
über Generationen hinweg zu erfinden und zu perfektionieren. Damit unterliegt
aber auch die alltägliche Koordination der Individuen immer der Wahrnehmung
der kategorialen Zeit, welche ihrerseits wiederum den Ausprägungen der
jeweiligen medialen Dispositive der Gesellschaft unterliegt.
Medien-Zeit als Gesamtheit der Vielheit ihrer zeitlichen Schichtungen
befindet sich demnach in einem ständigen Austausch zwischen innerer Zeit
der technischen Vertaktung der Medien – in Bewegungsintervallen, technischen
Intervallen, und Übertragungsintervallen – und einer äußeren Medien-Zeit,
der Sinnverfertigung des Konsumenten durch individuelle Nutzung der Medien,
um Zeit zu strukturieren oder zu relativieren. Im Spannungsfeld dieses
Austausches bestehen und entstehen Dispositive, welche sich mittlerweile
so stark ausdifferenziert haben, dass sie das komplette Spektrum der menschlichen
Zeitwahrnehmung bedienen können: So korrespondiert beispielsweise die
beschriebene Serialität mit der vorkategorialen zyklischen Wiederkehr,
während die Aktualität die kategorialen Zeitauffassung der Gesellschaft
widerspiegelt und die Montage individuelle Zeitwahrnehmungen beim Medienrezipienten
auslöst. Durch die permanente Verbesserung der Medien, in Speicherungs-,
Darstellungs- und Mobilitätsansprüchen, erhöht sich somit auch die Zeitautonomie
des Mediennutzers, da dieser die Medienangebote aufnehmen und neu kombinieren
kann, um sie seinen individuellen zeitlichen Bedürfnissen anzupassen.
Medien-Zeit ist demnach nicht mehr nur als die in der Einleitung definierten
Teilmenge der ‚normalen Zeit’ zu betrachten. Vielmehr ist der Umgang mit
Medien immer, ob bewusst oder unbewusst, ein Umgang mit der Zeit in all
ihren Erscheinungsformen.
Die Ökonomik stößt im Angesicht dieser Gegebenheiten schnell an ihre
theoretischen Grenzen. In ihrer Auseinandersetzung mit der Zeit hatte
sie deren ‚Geheimnisse’ stets ausgespart und sich streng an den messbaren
Anteil der kategorialen Zeit gehalten, der sich durch das abstrakte System
der Uhrzeit 1:1 mit Geld korrelieren ließ. Zwar hat Gary Becker mit seiner
Theorie der Allokation von Zeit ein Instrumentarium vorgelegt, welches
kategoriale Zeit als homogenes ökonomisches Gut modelliert und an eine
monetäre Verwendungsmotivation koppelt. Betrachtet man unter diesen Gesichtspunkten
jedoch die Mediennutzung, bewegt sich, wie beschrieben, die neoklassische
Betrachtung der Medien-Zeit fast ausschließlich auf der technischen Schicht
des Medialen. Erst durch die Erweiterung der Modellannahmen gemäß der
Neuen Institutionenökonomik lassen sich die Dispositive der medialen Zeitgestalten
als ökonomische Bezugsgrößen etablieren, die zur Bewertung der Allokation
von Medien-Zeit herangezogen werden.
Beachtet werden müssen dabei insbesondere die Verschränkung der Entwicklungen
von Institutionen über die Zeit und den Entwicklungen von Medien der Zeit:
Die Institutionen prägen das kategoriale Bild der Zeit, welches sich in
den Medien der Gesellschaft ausdrückt: und diese prägen wiederum, durch
deren Nutzung, die Institutionen und damit das kategoriale Bild der Zeit.
Dieser reflexive Zusammenhang ist gleichzeitig Motor und Kern der evolutorischen
Entwicklung der medialen Zeitinstitutionen. Durch die Integration eines
nicht rationalen Nutzermodells, dem homo connectus und der Einbindung
sowohl des monetären, als auch des kulturellen und sozialen Budgets, können
schließlich auch sprunghafte Phänomene der Mediennutzung erklärt werden,
welche der (neo-) klassischen Zeitallokation als ‚irrational’ verschlossen
bleiben.
Da sich die Verbindungen der zeitlichen Bezüge mit dem permanenten Innovationsdruck
von Medien stetig wandeln, muss sich die Ökonomie damit abfinden, dass
es keine statische Karte und kein statisches Modell mehr geben kann, sondern
eine im kleineren Maßstab angelegte Landkarte der Medien-Zeit, die sich
in einem stetigen Wandel befindet. Viel ist bisher noch nicht auf dieser
Karte verzeichnet. Doch die Institutionen der Medien-Zeit sind als Landschaftsmarkierungen
eingetragen und die Koordinaten der Individualisierung und Sozialisierung
durch Medien-Zeit sowie die Strukturierung und Relativierung von Zeit
können als ‚Himmelsrichtungen’ zur Orientierung angegeben werden. Mit
diesen Navigationshilfen ist eine Basis für weitere Erkundungen geschaffen.
Sowohl spezielle Nutzer oder Nutzergruppen, als auch einzelne Medien können
nach den vorgeschlagenen Parametern untersucht werden und somit die weißen
Flecken auf der Landkarte Stück für Stück füllen.
Das Geheimnis der Medien-Zeit ist damit in seinen Grundstrukturen gelüftet
und vielleicht hilft die vorgeschlagene Navigationshilfe zu erkennen,
warum nicht nur zeitsparende Medien sich durchsetzen werden, sondern es
für eine ökonomische Wissenschaft, als auch für die Wirtschaft im Allgemeinen,
sehr sinnvoll sein kann, sich mit dem kompletten zeitlichen Spektrum auseinander
zusetzen, denn Medien können nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich
mit den zeitlichen Strukturen der Nutzer synchronisieren lassen. Und diese
zeitlichen Strukturen bestehen eben nicht nur in der Geschwindigkeit von
‚Zeit ist Geld’, sondern auch in der Muße, dass Zeit medial vermitteltes
Wissen und sozialen Kontakt bedeutet.
Schließt man in diesem Sinne wieder die Enden des Möbiusbandes, bleibt
festzustellen, dass sich die Landkarte der Medien-Zeit bereits verändert
hat, denn nachdem das Möbiusband einmal durchwandert wurde, erscheint
der Beginn bereits unter einem anderen Licht, denn: „Eigentlich ist es
nicht schwer zu erklären, was Allokation von Medien-Zeit bedeutet.“
[1] Lotter, Wolf (2000): S. 83
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